Crash am Immobilienmarkt?
Wie der Energieausweis über die Preisstabilität entscheidet
Wenn die Chefs von Immobilienunternehmen schon Superlative Bemühen, um den Preisrückgang am Immobilienmarkt zu beschreiben, ist die Lage ernst. Tatsächlich ging etwa laut Handelsblatt das Vermittlungsvolumen des Immobilien-Finanzierers Dr. Klein im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahresquartal um 23 Prozent zurück. Wie groß die Zäsur auf dem Markt tatsächlich ist und wo die Grenzen zwischen Wertstabilität und Crash verlaufen, sagen derartige Zahlen jedoch nicht aus.
Selbst der Blick auf einschlägige Immobilienportale könnte Investoren heute sogar noch ruhig schlafen lassen. Der Grund: Die dort aufgerufenen Quadratmeterpreise sind noch immer ordentlich. Vor allem Neubauten und vergleichsweise junge Objekte scheinen weiter gefragt. Inwiefern für Käufer dennoch Raum zum Verhandeln bleibt und wie weit die tatsächlichen Abschlüsse unter den ursprünglichen Angeboten liegen, erfahren wir erst in einigen Quartalen. Schon heute lässt sich beim genauen Studium des Angebots aber ein Trend erkennen: Wertstabil sind vor allem Immobilien mit hoher Energieeffizienzklasse. Ausreißer nach unten, die für den zitierten Crash am Immobilienmarkt stehen, sind in der Regel immer Objekte mit Sanierungsstau und schlechter Energiebilanz.
Gerade Mietobjekte, die während der vergangenen Jahre von vielen Privatanlegern im großen Stil im Rahmen von 100-Prozent-Finanzierungen erworben wurden, könnten sich schon mittelfristig als Millionengräber erweisen. Dann nämlich, wenn Energiekosten weiter steigen und die gesetzlichen Anforderungen noch umfangreicher werden. Knapp die Hälfte der Bestandswohnungen in Deutschland wurde zwischen 1949 und 1978 gebaut, also überwiegend bevor die erste Wärmeschutzverordnung 1977 in Kraft getreten ist.
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen diese Objekte dringend saniert werden. Selbst bei Immobilien auf dem Stand der zweiten Wärmeschutzverordnung, die zwischen 1982 und 1995 galt, sind Nachbesserungen geboten. Angesichts von Materialknappheit und Fachkräftemangel sowie der galoppierenden Preise auf dem Bau dürfte die energetische Sanierung für viele private Vermieter zur Belastungsprobe werden. Ab Januar müssen Vermieter Teile der Nebenkosten ihrer Mieter tragen, wenn Wohnungen energetisch nicht auf dem neuesten Stand sind.
Schon mittelfristig sind weitere Sanktionen denkbar. Als besonders drastisch könnte der Verlust der Betriebserlaubnis wirken, wenn Gebäude bestimmte Mindeststandards nicht erfüllen – in den Niederlanden ist das bereits Realität und hat zu einer erhöhten Nachfrage nach energetischen Sanierungen geführt. Wenn Gebäude ihre Betriebserlaubnis verlieren, fallen auch Mieteinnahmen weg. Es droht der Zwangsverkauf.
Derartige Perspektiven und die damit verbundene Unsicherheit sind gerade für Mietobjekte derzeit preisbestimmend. Häuser mit hohem Energiestandard erzielen deswegen noch immer attraktive Preise, während Häuser mit Sanierungsstau entsprechend diskontiert werden. Für Investoren, die Erfahrungen mit energetischen Sanierungen haben, kann in dieser Sondersituation am Immobilienmarkt sogar eine Chance liegen. Privatanleger sollten sich der herausfordernden Situation bewusst sein und besser früher als zu spät agieren: Ein konkreter Sanierungsfahrplan kann dabei helfen, eine Immobilie selbst in schwierigen Zeiten fit für die Zukunft zu machen.
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Erstveröffentlichung: REAktion, November 2022
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